Normaler Morgen

6.45 Uhr: Das nervtötendste Instrument, das die Menschheit je erfunden hat, brüllt mir bedrohlich ins Ohr. Noch in einer anderen Welt schlage ich dieses Mord- instrument aus und schlafe weiter.

7.18 Uhr: Dime Stimme kenne ich doch, wo bin ich? Wer bin ich? – Nein. Es ist diese, meine Mami, die geplagt solch eines Kindes schmerzverzerrt gegen meine Zimmerwand hämmert und für mich unverständliche Dinge schreit, wie z.B. „Jetz wirds aber Zid“.

7.12 Uhr: Oh Gott – Die Textilien (lästig) liegen vor dem Bett – Hinein. Schultasche auf Bücher reinwerf. Runter renn!

7.24 Uhr: Bad: Haare – Keine Zeit. Zähne putzen – muß Zeit sein. In einer Höllengeschwindigkeit putze ich meinen sinnlosen Zahnstum- mel, doch nadirlich, es wäre kein Morgen, wenn mir nicht die Zahnbürste entgleiten würde, direkt neben das Waschbecken in den Mülleimer fiele und mein Pulli nicht plötzlich weiße Zahnpast- apusteln hätte.

7.27 Uhr: Ich renne aus dem Haus, wieder diese Stimme, „Dü hesch dinne Brote vergesse“, zurück – nun habe ich 900 m Leidensweg bis zum Abfahrtspunkt der Fahr- gemeinschaft zu bewerkstelligen. An einem widerlichen Morgen wie diesem unmöglich in dieser knap- pen Zeit, denn …

… 7.30 Uhr ist Abfahrt. Doch an diesem Morgen scheint die Sonne für mich zu scheinen, meine Leidensbrüder haben Mitleid mit mir – warten genervt auf mich – ich renne, der kalte Wind bläßt in mein zartes Gesicht – Autoabgase foltern meine Lunge, ich habe Schmerzen. Geschafft – wir fahren los. Vor Lins ein „lahmarschiger“ Last- wagen, eine rote Ampel, Um- leitgungen (die aufzustellen für die Ettenheimer Stadtarbeiter zur Lieblingsbeschäftigung gewor- den zu sein scheint), zitternde Omas auf Klapprädern, dumme Kinder auf Zebrastreifen, Nebel, Glatteis – eine Verschwörung ist gegen uns im Gange, doch für mich ist es am schlimmsten – denn ich weiß, daß ich schuld bin.

Die Busschleife ist erreicht – renn, raus! OH NEIN – wie kann man einen Eingang so „saublöd“ konstruieren. 100 m bis zum Eingang nach links, 40 m Glasgang wieder nach rechts, 154 Stufen nach oben. Aber es wäre zu ertragen wenn da nicht noch eine kleine Kleinigkeit in Form eines schleichenden Schleichers wäre – unser Schreckgespenst Herr Metzger. Doch ein guter Morgen? Er steht nicht im oberen Glasgang und lacht sich schon ins Fäustchen, er steht nicht hinter irgendeiner Ecke und lauert, eigentlich schade, denn er findet unsere Ausreden immer zum totlachen. Wir machen freudenstrahlend die Tür auf, rufen frohlockend in die Menge: „HA, uns het da‘ Metzger nit erwischt HAHA da’Reiner war bim Stutzer“ – doch unsere Klasse ist an diesem Morgen nicht zu einem Lachantall „hinzureißen“, lediglich ein autogaragengroßes Grinsen verzerrt ein jedes Gesicht unserer Mitschüler – Mein lieber Schwan – uns schwant da was. Meine Nackenhärchen richten sich vollends auf, und da ist es wieder, dieses gummihexenmäßige Lachen, worauf dann der ersehnte Lachanfall der Klasse folgt. Warum? Weil er, der Rock’n Roll Detektiv, im Eck unseres Klassenzimmers sitzt und auf uns wartet.

Genau einen Tag später, derselbe Ablauf. Als erstes, als wir das Klassenzimmer betreten, schauen wir in die Ecke, wo unser Freund am Tag zuvor saß, doch an diesem Morgen hat er uns wirklich nicht dran gekriegt – obwohl – aus der anderen Ecke ist es wieder – ihr wißt schon was – dieses entsetzliche, astmatische Lachen!

Wobei dieser jedoch noch zur Volksbelustigung beiträgt, gibt es auch schlimmere Morgen: wir kommen zwei Minuten zu spät, da steht ein etwa 1.60 m großer Mann, der nicht mit allzugroßem Selbstbewußtsein bestückt zu sein scheint. „Wo kommt ihr jetzt her?“ Allein für diese Frage gehört ihm schon eine Schulprügel, denn woher sollen wir wohl kommen – etwa von einern als unbewohnt bekannten Planeten eines anderen Sonnensystems? Es scheint so, denn wir stoßen mit unseren Argumenten auf die etwas bessere Frage, warum wir zu spät kommen, auf zubetonierte Ohren. Nun heißt es im Gleichschritt mitkommen! In welche Richtung? Das ist einfach: immer der Nase nach! „Ihr wartet hier, bis ich euch reinrufe“. 40 Minuten warten!

8.25 Uhr: Da stehn wir nun also, von links nach rechts, nach der Größe geordnet. Links, die zitternden, fast heulenden Unterstufenschüler, denen zu allem Übel noch ein Bruder in der Mittelsufe vorgeworfen wird, der auch immer zu spät kommt – wofür die „Kleinen“ natürlich sehr viel können. Genug, es ist an der Zeit für die „GroBen“ den Mund aufzumachen, den „Kleinen“ geschwind, behände, redeflüssig zu helfen, denn Reden hat man ja gelernt. Also: Einmal ist keinmal, jeder kann mat zu spät kommen, Stau, Batterie kaputt, Mutter krank, Schwester Masern, was machts schon, doch nicht so schlimm? – Luff holen – Man ist für die Bruchteile einer Sekunde stolz auf sich und sein Alter, lechzt nach anerkennenden Blicken der „Kleinen“ denen man jetzt mal so richtig gezeigt hat, wie man so etwas regelt. Doch wir scheinen verschiedene Artikulationsmethoden erlernt zu haben, denn: Später im Betrieb müßt ihr auch pünktlich sein, auf solche Zwischenfälle muß man vorbereitet sein, auch wenn man morgens schon um 4.00 Uhr losfahren muß, die Eltern deren Kinder, die pünktlich kommen, haben ein Recht darauf, daB ihre Kinder einen ungestörten Unterricht genießen dürfen und nicht von uns Hooligans gestört werden (klar, die Armen werden ja bestimmt in Tränen ausbrechen). Alles in allem vernünftige, einleuchtende Argumente – ein weiser Mann! In unserern schwierigen Alter sieht man das halt nicht immer gleich ein!

Haja, vielleicht hilft Euch ja dieser Artikel, schneller erwachsen, vernünftiger, verantwortungsbewußter, Konformer und christlicher zu werden. Ihr werdet sehen: Ihr kommt dann bestimmt in den Himmel.

(Euer reumütiger Ernst Brav)

P.S.: Früher Spaß Brav, doch aus Spaß wurde Ernst, und Ernst ist heute zwanzig Jahre alt.



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